Am 30. Mai 2016 fand in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin die Auftaktveranstaltung des dreijährigen Studienprozesses „Orientierungswissen zum gerechten Frieden“ statt. Ausgangspunkt stellt das in der Friedensdenkschrift der EKD von 2007 entwickelte Leitbild des gerechten Friedens dar, welches nun auf Aktualität geprüft und weitergedacht werden soll. Durch die Veranstaltung führte der Direktor der Evangelischen Akademie zu Berlin, Dr. Rüdiger Sachau.

Eröffnet wurde die Veranstaltung vom evangelischen Militärbischof Dr. Sigurd Rink (Grußwort Dr. Sigurd Rink), der auf die Notwendigkeit der Erneuerung des friedensethischen Standpunktes der EKD verwies. Neue Kriegsformen (z.B. unter Einsatz von Drohnen, Cyber War) sowie einschneidende Ereignisse seit der Veröffentlichung der Friedensdenkschrift (u.a. die Libyen-Intervention 2011 und der syrische Bürgerkrieg) machten eine tiefere Reflexion über den friedensethischen Konsensus der EKD unausweichlich. Rink betonte den integrativen Charakter des Konsultationsprozesses, der die verschiedenen Akteure evangelischer Friedensethik gut einbinden solle.

 

 

Als Präses der Synode der EKD ergriff Dr. Irmgard Schwaetzer das Wort. Sie begrüßte, das geplante Projekt an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V. (FEST) anzusiedeln. Auch sie verwies darauf, dass seit 2007 politisch viel geschehen sei und „damals anders gedacht wurde, weil die Welt eine andere war“. Frau Schwaetzer forderte, die Debatte um „mehr Verantwortung“ Deutschlands in der internationalen Politik im friedensethischen Diskurs mitzudenken.

Eine neue Perspektive auf das Verhältnis von Friedensethik und Friedensforschung eröffnete der Frankfurter Friedensforscher Prof. Dr. Christopher Daase (Vortrag Prof. Daase). In einer internationalen Ordnung, die normativ in einer Krise stecke, könne Friedensethik als Kompass fungieren, ohne jedoch „den Sinn für das Machbare“ zu vernachlässigen. Letztere Aufgabe käme der Friedensforschung zu, die nach den Handlungsfolgen fragen müsse. So gebe es einerseits Prinzipien normativer Gesinnung, denen man sich verpflichtet fühle, andererseits den Anspruch einer pragmatischen, verantwortungsethischen Handlungsweise. Aufgrund dieser Spannung käme es oft zu Kompromissen, die zu „mangelnder Entschiedenheit“ führten. Des Weiteren sprach er sich dafür aus, den starken Fokus auf die Rechtsethik zu überwinden. So sei das „Recht im internationalen Bereich schwach und seine Durchsetzung oft nicht gerecht“, weshalb die Leitvorstellung der Friedensdenkschrift, diese Friedensordnung könne und müsse primär mit den Mitteln des Rechts herbeigeführt werden, zu überdenken sei. Zudem verstelle der starke Fokus auf militärische Interventionen häufig den Blick auf anderweitige politische Einflussnahme. Wichtig sei es, die Aufmerksamkeit auf Zwänge zu lenken und statt legitimer Gewalt nach legitimem  Zwang zu fragen.

 

 

Auch der wissenschaftliche Leiter der FEST, Prof. Dr. Klaus Tanner, knüpfte an die prägende Konfliktgeschichte, die hinter dem spannungsgeladenen „magnus consensus“ stehe, an. So werde sich der entscheidende Konflikt um militärische Mittel auch nicht durch das Studienprojekt auflösen lassen. Der Heidelberger Theologe richtete sein Augenmerk vor allem auf den Begriff des Orientierungswissens. Dieses beinhalte eine Auseinandersetzung mit dem „Bild vom Ganzen“ und ermögliche Handlungsorientierung. Er erinnerte an den Wert verschiedener Erfahrungen und verwies darauf, dass letztendlich die „unerschöpfliche Bereitschaft zum Gespräch“ für den Konsultationsprozess essenziell sei.

Einen Einblick in den geplanten Ablauf des Konsultationsprozesses gab PD Dr. Ines-Jacqueline Werkner, die diesen an der FEST moderieren wird. Sie betonte die Notwendigkeit, das friedensethische Leitbild der EKD zu prüfen und weiterzudenken, was in vier Arbeitsgruppen und über 20 interdisziplinären Konsultationen angegangen werde. Dabei soll sich eine erste Arbeitsgruppe ethischen Grundsatzfragen widmen; eine zweite soll das Verhältnis von gerechtem Frieden und Gewalt in den Blick nehmen; eine dritte Gruppe werde den Ansatz des gerechten Friedens durch Recht einer kritischen Fortschreibung unterziehen und die vierte Arbeitsgruppe soll sich dem Schwerpunkt gerechter Frieden und politische Friedensaufgaben zuwenden. Dabei sollen die Ergebnisse der Konsultationen in einer 20-bändigen Reihe "Gerechter Frieden" im Springer VS veröffentlicht werden.

 


Die Veranstaltung stieß mit über 70 Teilnehmer und Teilnehmerinnen, unter ihnen der parlamentarische Staatssekretär des Verteidigungsministeriums Markus Grübel sowie der Beauftragte des Rates der EKD bei der Bundesregierung Prälat Dr. Martin Dutzmann, auf breites öffentliches Interesse. Renke Brahms, der Friedensbeauftragte der EKD, sprach das Schlusswort (Schlusswort Renke Brahms). Er bestärkte noch einmal die Vision eines zivilen Vorgehens – das beziehe sich nicht nur auf die Konfliktprävention, sondern auch auf die Konfliktbearbeitung.

 

Stefka Schmid